MARKUS PFLITSCH, TERRA QUANTUMGEORG GESEK, QMWARE

29 SEPTEMBER 2021
LAKESTAR INSIGHTS

Die Quanteninformatik hat ein gewaltiges Potenzial, die heutigen Märkte zu verändern und zu revolutionieren. Ob Risikomodellierung, Verschlüsselung, Preisgestaltung von Vermögenswerten oder künstliche Intelligenz (KI) – Quantencomputing kann den First-Mover Unternehmen und Investoren greifbare Vorteile bieten. Stephen Nundy, Partner und Chief Technology Officer von Lakestar, hat einige Technologiepioniere versammelt, um über die nächste Generation der Computerberechnungen zu diskutieren.

Weltweit ist ein Wettlauf im Gange, um Quantencomputer auf möglichst zugängliche und kostengünstige Weise bereitzustellen. China und die USA investieren bereits gewaltige Summen in diese leistungsstarke Technologie, aber auch Unternehmen in Europa machen sich einen Namen. Terra Quantum mit Sitz in der Schweiz hat rund 80 Quantenphysiker eingestellt und kanalisiert dabei mit den schwergewichtigen, akademischen Fähigkeiten und einem der größten Teams in diesem Technologiesektor die Industrietauglichkeit.

Ihr Gründer und CEO Markus Pflitsch sagt: „Ich habe versucht, ein großartiges wissenschaftliches Team zusammenzustellen, das bereit war, die akademische Welt zu verlassen, um Unternehmer zu werden. Ein solcher Karrierewechsel musste von einer veränderten Denkweise begleitet werden“. Für Pflitsch ging es darum, Terra Quantum zu einem kommerziellen Unternehmen zu machen. „Die Quantenphysik ist zu einem großen Geschäft geworden, bei dem alle wichtigen Akteure mitmachen und versuchen, an Anwendungen der Quantentechnologie zu arbeiten“, so Pflitsch.

Mit einer kombinierten Erfahrung innerhalb seines Teams von mehr als 600 Jahren in der Quantentechnologie kann Terra Quantum laut Pflitsch eine Vielzahl von Quantentechnologieanwendungen anbieten, die von Hardwarekomponenten wie Quantenzufallszahlengeneratoren (QRNG) bis hin zu Softwareprojekten auf Anwendungsebene reichen. Er sagt, das Unternehmen sei besonders stark in der Entwicklung von Quantenalgorithmen. „Mit diesen Fähigkeiten wollen wir die Gruppe als End-to-End-Quantum-as-a-Service (QaaS)-Unternehmen positionieren, weil wir glauben, dass die meisten großen Unternehmen mit der Quantentechnologie beginnen wollen, aber nicht wirklich wissen wie“. „Das Angebot ist für Unternehmen attraktiv, die Quanten in ihren bestehenden Rechenbetrieb integrieren wollen.

Dieser (QaaS) Quantum-as-a-Service-Ansatz bietet einen risikoarmen Einstieg. Wir kommen in die Unternehmen, sehen uns ihre Anwendungsfälle und ihre klassischen Big-Data-Herausforderungen an und versuchen, diese klassischen Algorithmen auf Quanten zu migrieren und sie dann auf unserer eigenen Hardware einzusetzen. Das bedeutet, dass die Unternehmen nicht in ihre eigene Infrastruktur investieren müssen, sondern mit uns als Partner zusammenarbeiten können“, sagt Pflitsch.

»Die Quantentechnologie hat sich zu einem großen Geschäft entwickelt, da alle großen Akteure an Quantenanwendungen arbeiten«
Markus Pflitsch

Vereinte Kräfte

Die kommerziellen Partnerschaften von Terra Quantum sind nicht auf Kunden beschränkt. Im Oktober letzten Jahres ging das Unternehmen eine neue Kooperation mit dem österreichischen Hardwareunternehmen Novarion ein, um QMware, die erste voll funktionsfähige hybride Quanten-Cloud, aufzubauen. QMware-Kunden können hybride Quantenanwendungen mit Hilfe des eingebauten Quantensimulators von Novarion, der als virtuelle Quantenverarbeitungseinheit (QPU) fungiert, entwickeln und ausführen.

Das Zusammentreffen von Terra Quantum und Novarion und damit auch von Pflitsch und dem Gründer und CEO von Novarion, Georg Gesek, scheint Schicksal gewesen zu sein. „Ich wurde auf Georg aufmerksam, als ich ein Interview mit ihm über die Quantencomputerindustrie las“, so Pflitsch. „Ich hielt Georg für einen Experten und beschloss, ihn zu kontaktieren. Es stellte sich heraus, dass Georg mich als einen der Akteure in der Quantenindustrie kannte und mit mir in Kontakt treten wollte. Es war also eine echte Quantenverschränkung!“

„Nachdem wir herausgefunden hatten, dass wir die gleiche Vision von der zukünftigen Entwicklung der Quantenindustrie haben, beschlossen wir, QMware zu gründen, um gemeinsam das erste echte End-to-End-Quantum-as-a-Service-Angebot (QaaS) zu schaffen.“

„Für Gesek gab es eine Motivation, die über das Kommerzielle hinausging. Ein Teil meiner Strategie beruht auf dem Wunsch, dass sich die europäische IT-Infrastruktur selbst trägt und der gesamte Compute-Stack von Hardware- und Software-Services hier in Europa zur Verfügung steht, damit Europa unabhängig von US-amerikanischen und chinesischen Anbietern ist“.

Der beste Weg, dies zu erreichen, besteht darin, als Erster eine neue Technologie zu vermarkten, und diese Technologie muss die beste auf dem Markt sein. Gemeinsam mit Terra Quantum sei es nun möglich, in nur sechs Monaten von der Grundlagenforschung in einem wissenschaftlichen Paper zu einer Quantenanwendung zu gelangen, womit das Gemeinschaftsunternehmen führend in der Markteinführungszeit sei.

Der Kurve voraus sein

Jede Änderung des Markts bietet Chancen, sowohl für Unternehmen als auch für Investoren, aber nur, wenn sie zum richtigen Zeitpunkt einsteigen. Martin Hofmann, ehemaliger CIO von VW und eines der Beiratsmitglieder von Lakestar, beschreibt die Dynamik der Quanten als „Hockeyschläger“. Exponentielle Technologien wie die Quantentechnologie entwickeln sich langsam und erreichen plötzlich diese „Hockeyschläger-Kurve“ für die Adoptionsraten so schnell, dass die Gefahr besteht, dass man hinter der Kurve zurückbleibt.

„Eine Möglichkeit, dieser Kurve voraus zu sein, besteht darin, die besten Anwendungsfälle zu ermitteln, die von dieser Technologie profitieren würden. Das bedeutet, dass man reale Probleme nimmt und sie so formuliert, dass man die Leistung des Quantencomputers nutzen kann“, so Hofmann.

Als Beispiel nennt Pflitsch von Terra Quantum einen Finanzdienstleistungskunden, der sein Engagement in verschiedenen Anlageklassen im Hinblick auf die zugrundeliegenden Risikokosten, den Finanzierungsbedarf und die Liquiditätsnotwendigkeiten optimieren muss. „Wir haben uns die klassischen Algorithmen mit allen Strafen und Anforderungen angesehen und sie in einen Quantenalgorithmus umgewandelt, um eine Leistungsverbesserung von sechs Basispunkten in Bezug auf das optimierte Sicherheitsportfolio von fast 500 Mrd. EUR zu erzielen. Das zeigt, wie ein durchgängiges Quantenservice einen Geschäftsvorteil bringen kann“, sagt Pflitsch.

Terra Quantum spricht mit anderen Branchen über ihre spezifischen Optimierungsherausforderungen, aber eine Herausforderung, der sich alle Branchen stellen müssen – und die ein beträchtliches wirtschaftliches Potenzial bietet – ist die sichere Kommunikation. Das Unternehmen hat bereits mit Hilfe von Quantencomputern die Anfälligkeit gängiger Verschlüsselungsverfahren demonstriert, aber auch ein neues Verschlüsselungsprotokoll entwickelt, das von Quantencomputern nicht gebrochen werden kann.

Pflitsch sagt: „Es ist jetzt an der Zeit, auf quantensichere Kommunikation umzusteigen, denn Sie wollen nicht, dass Ihre Daten oder Kommunikation gefährdet sind“. Es nützt nichts zu sagen, dass wir heute noch nicht über genügend leistungsfähige Quantencomputer verfügen, um die Verschlüsselung zu gefährden, denn wenn sie da sind, wird es zu spät sein. Deshalb muss die Quantenverschlüsselung vor der Entwicklung und der Geschwindigkeit der Quantencomputer kommen.

»Meine Strategie beruht auf dem Wunsch, dass die europäische Infrastruktur der Informationstechnologie selbsttragend ist«

Georg Gesek

Learning by doing

Ein weiterer potenzieller Wachstumsbereich für Quanten ist die KI. Hofmann meint, dass es möglich sein könnte, mit Hilfe von Quantencomputern neuronale Netze zu trainieren, um das Lernen von Maschinenalgorithmen zu beschleunigen und Verhalten vorherzusagen. Nehmen wir das Beispiel Mobilität: Wenn ein Unternehmen wie Uber mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent die Menschenströme vorhersagen kann, könnte es die Position seiner Fahrzeuge optimieren und die Reaktionszeit auf weniger als eine Minute verkürzen.

Pflitsch weist darauf hin, dass Terra Quantum ein hybrides neuronales Quantennetzwerk entwickelt hat, das eine bessere Bilderkennung mit einem Lernaspekt bietet. Man kann es beim autonomen Fahren in der Automobilindustrie, in der Robotik oder in anderen Bereichen wie der medizinischen Diagnostik einsetzen.

Sowohl Hofmann als auch Pflitsch sind sich einig, dass das Wachstumspotenzial der Quantenforschung durch den Mangel an Talenten in diesem Bereich begrenzt sein könnte. „Man kann niemanden in einen zweiwöchigen Kurs schicken und erwarten, dass er Algorithmen für Quantenansätze entwickelt“, sagt Hofmann. „Wir müssen die Leute ausbilden und unsere Produkte in Bezug auf ihre Benutzerfreundlichkeit entwickeln“, sagt Pflitsch. „Europa hat eine große akademische Landschaft im Bereich der Quantenphysik, aber wir müssen ganzheitlich denken und mit den Universitäten zusammenarbeiten. Es gibt nur wenige Leute, die sich mit Quantenphysik auskennen“, sagt Hofmann, „aber wir haben einige in Europa, und ich denke, wir haben eine große Chance“.

Es ist diese europäische Perspektive, die Terra Quantum und später auch QMWare dazu veranlasst hat, die Unterstützung von Lakestar zu suchen. Das Unternehmen sieht sich selbst als aktiven Beitrag zum europäischen Quanten-Ökosystem, eine Struktur, die Lakestar fördert. „Lakestar hat mich durch seine unternehmerische Denkweise und seine aktive Unterstützung der europäischen Bemühungen um technologische Souveränität überzeugt“, sagt Pflitsch, „ich persönlich habe die gleichen Ambitionen“.